„Foodsharing“ am Rockfestival – die letzten Grillwürstchen und Ravioli mit dem Zeltnachbarn teilen, oder wie? Das sollte inmitten der Festivalgemeinde sowieso drin sein, aber seit einiger Zeit sogar noch mehr: Der ehrenamtliche Verein „Foodsharing“ ist während des Sommers auf Festivals unterwegs, um zu verhindern, dass Lebensmittel weggeworfen werden. Stattdessen teilt jeder mit jedem.
Bevor das Southside Festival 2016 sich letzten Freitagabend seinem Unwetterschicksal ergeben musste, hatte ich während des heißen Vormittags die Gelegenheit, Axel vom Foodsharing-Stand interviewen zu dürfen. Trotz sengender Hitze hat der 24-jährige Chemiestudent aus Stuttgart mir die „Tür“ zum Foodsharing-Zelt geöffnet und eindringlich davon erzählt, was die Foodsharing-Gemeinde und ihn als Foodsharing-Botschafter für seine Stadt vorantreibt und bewegt.
Direkt gefragt – was genau ist Foodsharing?
Auf der Welt werden genug Lebensmittel produziert, um alle zu versorgen, aber es hungern immer noch Menschen – das macht keinen Sinn. Es sind genug Lebensmittel da, aber sie sind falsch verteilt. Dagegen möchten wir ankämpfen! Foodsharing bedeutet, Lebensmittel zu teilen, anstatt sie wegzuwerfen. Als ehrenamtlicher Verein setzen wir uns im deutschsprachigen Raum gegen Lebensmittelverschwendung ein. Dafür betreiben wir Kooperationen mit Betrieben, bei denen wir Lebensmittel direkt abholen, die sie sonst wegschmeißen würden. Auch Privatpersonen können auf der Plattform ihre Lebensmittel teilen, und es gibt rund 600 öffentliche Kühlschränke, auch Fair-Teiler genannt. Dort kann sich jeder Essen nehmen, wenn er etwas braucht, oder etwas hineinstellen, wenn er zu viel hat. Wir von Foodsharing wollen beim Thema Lebensmittel weg von diesem „Tausch-Gedanken“ und dem Fokus auf Geld, und stattdessen darauf schauen, wer was benötigt.
Wie genau sieht eure Arbeit auf einem Festival aus?
Wir sprechen abends Essensstände an und verteilen deren Reste an Security-Kräfte und Mitarbeiter. An den Eingängen sammeln wir Sachen ein, die Leuten abgenommen werden, damit
nichts in der Tonne landet. Oft sind wir auch auf den Zeltplätzen unterwegs, weil viele Leute betrunken Sachen wegschmeißen. Wir sagen: Kommt vorbei, wenn ihr was loswerden wollt oder wenn ihr etwas braucht – aber nicht als direkter Tausch. Wir versuchen einfach, dass Essen nicht weggeschmissen wird und an Leute kommt, die es brauchen. Damit lässt sich die Verteilungsfrage lösen. Aktuell gibt es immer mehr Anfragen von Festivals an uns – die Veranstalter tragen irgendwo ja auch eine gewisse soziale Verantwortung.
Wie bist du zum Foodsharing gekommen?
Ich habe Videos im Internet gesehen, unter anderem die Doku „Taste the waste“. Das hat mich umgehauen, die kann ich echt nur jedem empfehlen. Produziert hat sie Valentin Thurn, einer der Gründer von Foodsharing – aus dieser Doku ist die Bewegung entstanden. Er war international unterwegs und hat gezeigt, wie viele Lebensmittel tatsächlich weggeschmissen werden und wo Menschen hungern, wie pervers das alles ist! In Europa verschwenden wir teilweise bis zu 50% der Lebensmittel. Es gibt EU-Normen, dass Gurken gerade sein müssen, weil sie so besser in Kisten passen. Die krummen werden weggeworfen. Supermärkte schmeißen Lebensmittel nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum weg, obwohl sie noch verzehrt werden können. Die Aussage der Doku ist „Es gibt genug Lebensmittel – aber sie müssen besser verteilt werden“.
Raphael Fellmer, Valentins Mitbegründer, hat jahrelang im Konsumstreik gelebt. Er hat gezeigt, wie er in unserer Gesellschaft ohne Geld überleben kann, weil wir so enorm viel wegschmeißen. Dabei hat er die erste Kooperation überhaupt mit einem Supermarkt gestartet, einem Berliner Biomarkt. Jetzt gibt es rund 3.000 Kooperationen deutschlandweit, die uns Lebensmittel geben, bevor sie sie wegschmeißen, Supermärkte, Bäckereien, Restaurants, Hotels.
Wie organisiert ihr diese Kooperationen?
Es gibt eine Rechtsvereinbarung, die die Betriebe von jeglicher Haftung für die Genießbarkeit von Lebensmitteln und Ähnliches entbindet, und uns zum Beispiel zur freien Verteilung berechtigt. Als „Foodsaver“, also die Person, die das Essen abholt, hast du die „Hoheit“ über die Ware, darfst damit also machen, was du möchtest – deiner Familie geben, Freunden, Bedürftigen, wem auch immer. Die einzige Regel: Du darfst nichts wegwerfen.
Wie sieht deine Foodsharing-Arbeit in Stuttgart aus?
In Stuttgart bin ich einer von 11 „Botschaftern“, die rund 40 Betriebskooperationen verwalten. Ansonsten haben wir zum Beispiel auch eine Kooperation mit einem Flüchtlingsheim aufgebaut – zwei Flüchtlinge gehen mittlerweile selbstständig zur Großbäckerei und beliefern damit ihr ganzes Heim. So sparen wir uns den Weg und das Essen kommt dann genau da an, wo es hingehört. Soziale Einrichtungen wie das Caritas-Obdachlosenheim gehen aktuell in eine Markthalle, wo etwas teurere Lebensmittel zum Sortiment gehören, und versorgen damit die Obdachlosen – die bekommen dann richtig gutes Essen und freuen sich wahnsinnig. Bessere Umverteilung gibt es nicht. Insgesamt gibt es schon rund 17.000 Food-Saver, die aktiv in deutschsprachigen Ländern Essen abholen.
Was hat sich für dich durch die Arbeit verändert?
Mir fällt es mittlerweile schwer, einkaufen zu gehen, weil ich weiß, was alles in den Tonnen landet. Du siehst so viele Lebensmittel, die noch nicht mal abgelaufen sind und weggeworfen werden. Oder jetzt zum Beispiel bei der EM: Normale Ware wurde entsorgt, weil die neuen Produkte mit diesem EM-Design auf den Markt gekommen sind. Das war bei vielen Süßigkeiten der Fall, die kommen dann in Unmengen in die Tonne, weil die Läden das andere Zeug an die Leute bringen wollen.
Was steht in Zukunft für den Verein „Foodsharing“ an?
Wir haben Anfragen aus dem Ausland, z.B. Spanien oder den USA. In Polen wurde unser erster Fair-Teiler eröffnet. Die Software, die wir für die Plattform nutzen, wird aktuell ins Englische übersetzt, damit wir ab September international werden können und das Ganze auch in anderen Ländern möglich ist. Dabei sind wir Open Source – uns ist egal, wer der Träger ist, wir wollen keine Lizenz, keine Rechte. Wir wollen nur dem idealistischen Ziel nachgehen, dass keine Lebensmittel verschwendet werden, und global etwas bewegen. Es tut sich Einiges – viele Leute haben Interesse an unserem Wirken, weil sie verstehen, dass es sinnvoll ist, Lebensmittel nicht wegzuwerfen, sondern zu verbrauchen.
Axel ist schon seit über einem Jahr für Foodsharing aktiv und könnte es sich gar nicht vorstellen, nicht mehr mitzuwirken. Du hast Interesse und möchtest dich engagieren? Dann schau doch mal auf foodsharing.de vorbei und werde selbst zum Food-Saver.
Wir danken Axel & dem Rest des Foodsharing-Festivalteams für das Interview und die Einblicke am Southside 2016!
Knaufige Grüße